Emma war mal ein ganz normales gesundes Kätzchen, springlebendig, eigenwillig, die höchtsten Ausgucks liebend. Bis zum rabenschwärzesten Tag in ihrem Leben, als sie im Alter von 17 Monaten sich auf mysteriöse Weise diese blöde Lähmung zuzog.

Am 12.1. fand ich sie gegen abend laut schreiend im Badezimmer vor, die Hinterbeine und der Schwanz gänzlich ohne Sensibilität und schlaff gelähmt. Die TÄ konnte bei der Untersuchung nur eine Weichteilschwellung oberhalb der unteren LWS feststellen, die vermutlich auf das Rückenmark oder die Spinalwurzeln drückte. Was Emma in der folgenden Woche an Behandlung bekam, verdient wohl unbestritten den Begriff "tierärztliche Maximaltherapie", Antibiose (zunächst Baytril, dann Chloramphenicol, beide ZNS-gängig), Cortison, Mannitol, Furosemid, Theranekron, Vit.B-Komplex...

Ein reitender Thrombus wurde sonographisch ausgeschlossen, Knochenbrüche sind auch ausgeschlossen, Bänderschäden auch. Eine genaue Diagnose konnte dennoch nicht gestellt werden. Der Unfallhergang (Emma und Moritz sind reine Wohnungskatzen) ist noch unklarer. In meinem Bad ist kein Anhaltspunkt dafür, was geschehen sein könnte.

Zunächst entwickelte sich Emmas rechtes Hinterbein besser als das linke, die Sensibilitätsausfälle waren rechts schneller rückläufig als links. Als ich Emma nach einer Woche stationärer Behandlung wieder mitnehmen konnte, hatte sie beidseits noch strumpfförmige Lähmungen bis kurz über dem oberen Sprunggelenk, aber sie konnte gestützt kurz sitzen. Der Schwanz war wieder voll funktionsfähig. An Stehen war nicht zu denken. Mit Hilfe einer befreundeten THP wurde dann der weitere Schlachtplan festgelegt, Akupunktur, Magnetfeld, Neychondrin, das sollte es sein. Die TÄ schaffte es dann, uns in einer Rehaeinrichtung in Warendorf eine Behandlungsmöglichkeit zu bekommen. Zwar ist das eigentlích rein für Pferde, allerdings ist dort ein TA beschäftigt, der den lieben langen Tag fast nichts anderes macht, als mit Akupunkturnadeln herumzuspielen und das auch bei Kleintieren kann.

12 Tage nach dem Unfall hatte Emma dann das erste Mal einen Termin dort. Nach der ersten Akupunktur konnte Emma die Hinterbeine kurz so belasten, daß sie kurz stand. Nach dem zweiten Termin hatte sich das noch etwas verbessert. Fortan Stagnation, es ging gar nicht weiter. Mit Schrecken stellte ich dann dreieinhalb Wochen nach dem Unfall fest, daß Emmas rechtes Hinterbein nach wie vor unterhalb des oberen Sprunggelenkes taub war. Da sie bei Berührungen das Bein immer knurrend durch Hüftbewegung weggezogen hatte, war ich davon ausgegangen, daß sie das spüren konnte. An besagtem Abend kniff ich in das Bein, als sie schlief. Auch Knochenhautreizung (superschmerzhaft) brachte keine Reaktion. Emmas Stimmung war da auch auf einem Tiefpunkt angekommen, sodaß für mich eine Welt zusammenbrach. Der TA-Besuch am Montag bei meiner StammTÄ war auch entsprechend entmutigend, sie gab dem Bein eine Woche, um wenigstens ein geringstes Bißchen Besserung zu zeigen, sonst wollte sie die Katze erlösen, die sich ganz offensichtlich zu diesem Zeitpunkt selber schon aufgegeben hatte. Nachdem ich dann den ganzen Montag nachmittag nur geflennt hatte, geschah das absolute Wunder: Emma wurde wieder lebendiger. Sie nahm wieder an ihrer Umgebung teil, bewegte sich freiwillig aus der Hundetransportbox, die in den letzten Wochen ihr Zuhause im engeren Sinne war, heraus. Das rechte Bein zog sie zunächst nur nach, ein wenig später hatte sie den Schwung raus, wie sie es mit Hüftkraft in die richtige Position bringen kann. Durch die nachfolgenden Akupunktursitzungen konnten die Schmerzen weitestgehend behoben werden.

Nach wie vor ist das rechte Bein unterhalb des unteren Sprunggelenkes taub, zwischen oberem und unterem ist die Sensibilität stark herabgesetzt. Daran wird sich wohl auch nichts mehr verändern, diese Situation ist nun seit mehreren Wochen unverändert. Trotzdem hat sie ihre neue Situation inzwischen grandios gemeistert.

Laufen kann Emma inzwischen wieder recht gut: Die Hauptbewegung des rechten Hinterbeines kommt aus Hüfte und Kniegelenk. Sie hat inzwischen heraus, wie hoch sie das Bein ziehen muß, damit sie auf dem Tatzenballen aufsetzen kann.
Bei normaler Gehgeschwindigkeit gelang ihr das nach einiger Zeit auch recht häufig. Geriet sie allerdings in Eile, wollte ihr diese Sicherheit nicht gelingen; dann schlörte sie über den Pfotenrücken. Aus diesem Grund wurde das Pfötchen auch mit einer Socke geschützt und nur stundenweise trainiert (Hauttraining).

Therapeutisch unerläßlich ist für sie die Kräftigung der Muskulatur der Hinterhand, ganz besonders oberhalb der Sensibilitätsausfälle.
Daß diese nicht optimale Nutzung der Hinterhand auch zu Verspannungen der Muskulatur führt, ist klar. Die werden durch Akupunktur und krankengymnastische Übungen wohl zeitlebens behandelt werden müssen, um unnötige Schmerzen zu vermeiden. Mit dieser Behandlung wird im übrigen auch das Maß an fehlnutzungsbedingten Deformierungen (wie eben die Skoliose oder eventuelle Gelenksveränderungen) so gering wie möglich gehalten.

Eine Amputation steht für Emma nicht mehr zur Debatte. Durch die gute Nutzung der rechten Hinterhand ist die Körperstatik im Vergleich zur (funktionellen) Dreibeinigkeit wesentlich weniger schwer beeinträchtigt. Auch wenn die Verletzungsgefahr wesentlich geringer wäre, wenn das taube Stück amputiert würde, so wäre doch die Beeinträchtigung von Wirbelsäule, Gelenken und der Muskulatur erheblich größer, die Folgeschäden schwerwiegender. Deswegen mußte ich lernen, mit der Angst zu leben, daß etwas passieren könnte...

 

 

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